Wir sollten den Menschen in den Mittelpunkt stellen, nicht die Krankheit.

Gun Aremyr wählt ihre Worte sorgfältig, denn unsere Sprache formt, wie wir die Realität wahrnehmen. Um ein nachhaltiges, gesundheitsförderndes Umfeld für Menschen mit Demenz zu schaffen, ist es wesentlich, den Menschen wahrzunehmen und sich auf ihn zu konzentrieren – nicht auf die Erkrankung. „Die gesamte Lebensgeschichte eines Menschen muss in der Gesundheitsversorgung Berücksichtigung finden“, betont sie.

Gun Aremyr, Expertin für Demenzerkrankungen

Es ist allzu einfach, auf Grundlage unserer eigenen Erfahrungen und Bedürfnisse Annahmen über die Welt und andere Menschen zu treffen. Im Kontext von Demenz kann das besonders problematisch sein, vor allem, wenn man in die Falle tappt, die Betroffenen als homogene Gruppe statt als Individuen zu betrachten.

„Selbst wenn sich die Bedürfnisse einer Person und die Bedingungen für ein gutes Leben durch die Demenz verändern, bleibt ihre individuelle Lebensgeschichte erhalten und sollte sich in ihrer physischen Umgebung widerspiegeln. Unser Fokus muss stets auf der Person liegen, nicht auf der Erkrankung“, erklärt Gun Aremyr.

"Ein physisches Umfeld, das angenehm duftet, ästhetisch ansprechend und einladend wirkt, vermittelt den Bewohnenden das Gefühl, einer schönen Umgebung würdig zu sein. Dies kann ebenfalls dazu beitragen, den Blutdruck zu reduzieren und den Bedarf an Schmerztherapie zu verringern."

Gun Aremyr, Expertin für Demenzbetreuung

Gun ist seit den späten 1980er Jahren im Bereich der Demenz tätig und hat in ihrer Laufbahn als Ergotherapeutin, Beraterin für Angehörige, Dozentin und Autorin eine Vielzahl von Menschen und deren Umfelder kennengelernt. Sie ist überzeugt: Eine durchdacht gestaltete bauliche Umgebung kann das Leben von Menschen mit kognitiven Einschränkungen erheblich erleichtern.

Menschen mit Demenz haben oft einen erhöhten Bedarf an Ruhephasen und müssen sich mehrmals täglich zurückziehen, um ihre Gehirnfunktionen zu unterstützen. "Das Aufstellen von Sesseln entlang eines Flurs kann ein Gleichgewicht zwischen Entspannung und Aktivität schaffen. Ideal wäre es, wenn dabei die Möglichkeit besteht, Musik zu hören oder einen angenehmen Ausblick in die Natur zu haben", erklärt sie.

Die Inneneinrichtung sollte zudem ein Gefühl von Sicherheit fördern, beispielsweise durch stabile Möbelstücke und einfarbige Bezüge. Kleine Muster könnten von Menschen mit Demenz unter Umständen als Insekten fehlinterpretiert werden.

"Auch die Platzierung der Möbel beeinflusst die Raumwirkung. Möbel, die sich direkt gegenüberstehen, könnten als herausfordernd empfunden werden, deshalb ist es manchmal besser, sie mit etwas mehr Abstand anzuordnen. Sofas mit Armlehnen in der Mitte können das Gefühl vermitteln, in einer Ecke zu sitzen. Und selbstverständlich sollten Möbel keinen Hindernislauf erzeugen."

DIE BEDEUTUNG DER SENSORIK

In Bezug auf den sensorischen Input, der Muskeln und Gelenke stimuliert, rät Gun Aremyr zu robusten Sitzmöbeln, deren Höhe das einfache Hinsetzen und Aufstehen unterstützt. Dies fördert das Gefühl von Autonomie und die Möglichkeit, ohne fremde Hilfe auszukommen. Zudem wird durch häufigen Positionswechsel die Muskulatur aktiviert und der Druck auf bestimmte Körperstellen reduziert.

Neben den bekannten fünf Sinnen – Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken – hebt Gun Aremyr zwei weitere hervor: die Propriozeption, also die Wahrnehmung von Muskeln und Gelenken, sowie den Gleichgewichtssinn.

"Wenn das Gleichgewichtsvermögen nachlässt, ist es entscheidend, stabile Möbelstücke zu haben, an denen man sich sicher abstützen kann. Schaukelstühle, die den Gleichgewichtssinn anregen und eine beruhigende Wirkung haben, können daher eine wertvolle Ergänzung darstellen", erklärt Gun Aremyr.

Räume, die optisch ruhig und ordentlich erscheinen, entfalten eine heilsame Wirkung. Kontrastreiche Farben, die zum Beispiel Waschraumtüren, Toilettenbrillen und Lichtschalter kenntlich machen, erleichtern den Menschen die Orientierung und verstärken das Empfinden von Freiheit und Selbstständigkeit.

"Bei der Wahl der Farben sollte beachtet werden, dass man sich in einem Sessel oder Sofa mit einem warmen Farbton des Bezugsstoffes behaglicher fühlt. Bei der Nutzung von Kontrastfarben empfiehlt es sich, eher satte Farben anstelle von Pastelltönen zu verwenden."

Gun Aremyr, Demenz-Expertin

Sie erläutert weiter: "Die Augen älterer Menschen tendieren dazu, Farben weniger intensiv wahrzunehmen. Sind die Farben von Wänden und Böden zu ähnlich, kann dies die Orientierung in einem Raum erschweren. Zudem fällt es leichter, Rottöne von Gelbtönen zu unterscheiden, als Blau- und Grüntöne auseinanderzuhalten.

 

All diese Faktoren werden von der Beleuchtung beeinflusst. Eine angemessene Beleuchtung, die die Unterscheidung zwischen Tag und Nacht unterstützt, kann die Lebensqualität von Menschen deutlich verbessern. Ein einfacher Leitsatz für bessere Konzentration und Orientierung ist: 80 Jahre alt = 80 Watt oder 1200 Lumen.

Auch Gerüche, die an Zuhause erinnern, wie beispielsweise der Duft frisch gebackener Brötchen, stimulieren die Sinne, fördern das Wohlbefinden und können dazu beitragen, dass das Essen besser schmeckt. Im Gegensatz dazu können intensive Gerüche, die an Krankenhäuser erinnern, wie zum Beispiel Desinfektionsmittel, das Gegenteil bewirken.

"Eine angenehm duftende, ästhetisch ansprechende und einladende Umgebung signalisiert, dass die Person, die sich darin befindet, es verdient hat, in einer schönen Umgebung zu leben. Sie kann auch dazu beitragen, den Blutdruck zu senken und den Bedarf an Schmerztherapie zu reduzieren", sagt Gun Aremyr.

Eine ähnliche Wirkung kann durch Berührung erreicht werden. Abgerundete Formen aus vertrauten Materialien wie Holz, Stoff oder Leder vermitteln ein Gefühl von Sicherheit und Komfort. Ebenso können Geräusche wie sanftes Wellenrauschen oder Vogelgezwitscher positive Assoziationen hervorrufen.

Wie können wir dieses Wissen praktisch anwenden?

"Für die betreffenden Menschen ist eine gesundheitsfördernde Umgebung eine solche, in der man auch mit kognitiven Einschränkungen gut leben kann. Um Nachhaltigkeit zu erreichen, ist es notwendig, in Qualität zu investieren. Die Möbel sollten nicht nur ästhetisch ansprechend sein, sondern auch flexibel und einfach zu verwenden, zu reinigen, zu erneuern und umzustellen.

Eine durchdachte Funktionalität kann einen wesentlichen Unterschied ausmachen.

"Bei Menschen mit Demenz können leicht Ängste ausgelöst werden. Dies erhöht den Bedarf an Personal und Medikamenten, führt zu einer Verschlechterung der Gesundheit und der Lebensqualität und letztlich zu geringerer Wirtschaftlichkeit für die Betreiber*innen. Eine gut geplante Einrichtung, die auf die Bedürfnisse der Bewohnenden und den Betrieb abgestimmt ist, fördert hingegen eine positive Entwicklung für alle Beteiligten."

5 Tipps für die Gestaltung von Pflegeumgebungen für Menschen mit Demenz

1.

Kontrastreiche Farben zur Förderung der Orientierung

Verwenden Sie deutlich kontrastierende Farben für Böden, Wände, Türen und Möbel. Eine solche Gestaltung erleichtert die Orientierung, schafft ein Gefühl der Sicherheit und Autonomie und hilft, Angstzustände sowie Frustration zu verringern.

2.

Einsatz von beruhigenden Klängen und ruhigen Möbeln

Wählen Sie Möbel, die keine störenden Geräusche verursachen. Akustische Maßnahmen und ruhige Hintergrundgeräusche, wie sanftes Wasserrauschen und Musik, können sowohl beruhigend wirken als auch sensorische Anregungen bieten – wichtig ist, dass die betroffenen Personen die Wahl haben, diese zu nutzen oder nicht.

3.

Altersgerechte Beleuchtung

Die Beleuchtung spielt eine wesentliche Rolle, um Unfälle zu vermeiden, die Orientierung zu erleichtern, den Tag-Nacht-Rhythmus zu unterstützen und die Konzentration beispielsweise beim Essen zu verbessern. Berücksichtigen Sie, dass sich die Farbwahrnehmung im Alter verändern kann.

4.

Möblierung für Sicherheit und Komfort

Stellen Sie sicher, dass Sitzmöbel so gestaltet sind, dass man sich leicht darauf niederlassen und wieder aufstehen kann. Natürliche Materialien und abgerundete Formen tragen zur Sicherheit bei. Abnehmbare und waschbare Bezüge erleichtern die Instandhaltung.

5.

Schaffen Sie ein wohnliches Umfeld

Die Pflegeeinrichtung sollte für die Bewohnenden ihr Zuhause sein. Eine heimelige Atmosphäre trägt zum Wohlbefinden bei und fördert das Gefühl der Zugehörigkeit und Sicherheit. Achten Sie darauf, dass sich auch Besuchende, wie Kinder und Enkelkinder, in der Umgebung wohlfühlen.